Alles begann, als…


die Trümmer meiner blinden Liebe über mir zusammenkrachten. Mir wurde klar, dass ich, egal wohin ich ging, die Ketten meiner weiblichen Ahnenlinie mitschleppte: Das Gefühl der Minderwertigkeit, der Wut und der Einsamkeit. Doch meine Opfer brachten weder die Versöhnung mit meinen Ahninnen, noch das Glück, nach dem ich mich so sehnte. Die göttliche Lösung, für die ich gebetet hatte, kam nie.

Konfrontiert mit der Last meiner Familie, die ich mit mir herumtrug, kam die Wunde mit meiner Mutter zum Vorschein.

Hier kannst du dir meine Fotoserie über die Mutterwunde ansehen.

Die Lebensmodelle, die ich von meiner Mutter gelernt habe, waren geprägt von Konflikten, Misstrauen und Rivalität gegenüber anderen Frauen. Solange ich denken kann, liess mich meine Mutter ihren Schmerz durch ihre Abwesenheit und ihre Wut spüren. Sie kam entweder zu spät oder gar nicht in den Kindergarten, wütete bei der Schulversammlung, fehlte bei meinen Vorstellungen oder verpasste mir eine Tracht Prügel, wenn mir ein Fehler passierte. Ich nahm meine Mutter als eine Göttin wahr, die Schönste aller Mütter, doch irgendwie immer böse auf mich und mit den alltäglichsten Situationen überfordert. Diese Überforderung liess sie offenkundig an anderen Menschen aus– besonders an mir. Die einzige Möglichkeit, nicht zu sterben, bestand darin, mich an ihre Hand zu hängen und im Tempo ihrer hektischen Absätze mitreissen zu lassen.

 

Überzeugt, dass ich es halt so verdient hatte– dass ich schlicht verdammt sein musste, schluckte ich meinen Zorn runter. Ich fügte mich in mein Schicksal und fand mich mit dem ewigen Konflikt ab.

 

Seit ich klein war, hatte ich das Gefühl, dass die Beziehung zwischen meiner Mutter und meiner Großmutter zerrüttet war. Eines Morgens, nachdem wir Oma Christa besucht hatten, setzten mein Bruder und ich fast das Haus in Brand, als wir mit ein paar Streichhölzern spielten, die sie uns gegeben hatte. Das war der Beginn des Hasses meiner Mutter, die sich von ihrer Mutter und jeglicher Nähe fernhielt, als ob sie auf alle intimen Beziehungen, angefangen bei ihrer eigenen Mutter, verzichten würde. Ich erinnere mich, dass es unmöglich war, meiner Mutter zu gefallen. Und doch war es das, wonach ich mich im Leben am meisten sehnte.

Das Leben wollte es, dass meine Oma väterlicherseits eine selbständige, integre Frau war, eine Weltenbummlerin mit Kamera und geistiger Neugierde. Oma Irmgard. “Om”.

Sie war mein Schutzengel und ist es bis heute. Bei ihr lernte ich emotionale, kreative und spirituelle Freiheit. Ich ging in den Wald, um mich stundenlang mit der Natur zu verbinden, oder ich malte oder arbeitete in ihrem riesigen Garten.

Oma Irmgard war der Anker, der die Zustände zu”hause” irgendwie ausglich. Während die Wutausbrüche meiner Mutter für mich zur Normalität gehörten, war der Besuch bei Oma Irmgard für mich und meine Brüder der Himmel auf Erden. Als Om starb, begriff ich, wie sehr die Sehnsucht nach einer Mutter noch in mir brannte. Nach und nach begriff ich, dass ich sie im dunkelsten und schmerzhaftesten Teil meines Seins suchen musste, meiner Mutterwunde.

Tag für Tag, Monat für Monat begann ich, die Kette des Leidens, die ich getragen hatte, ein wenig mehr zu entschlüsseln. Ich verstand den Missbrauch des Patriarchats an Generationen von Frauen und ihrem medizinischen Wissen. Ich verstand, dass wie eine Matrioschka, ich als Tochter meine Mutter und ihre gesamte weibliche Ahninnenlinie in mir trug. Blind, taub und tastend wagte ich Schritt für Schritt, mich mit Frauen zu verbinden, um zu heilen. Ich wurde so belohnt. Es gab eine Welt da draussen, in der sich Frauen gegenseitig halfen, respektierten und feierten.

Einen Raum zu finden, in dem ich in aller Verletzlichkeit mein Herz öffnen konnte und mit wohlwollenden Augen gesehen wurde, in dem mir ohne Vorurteile zugehört wurde, ist wohl das grösste Geschenk, dass mir passieren konnte. Als ich meine Glaubenssätze langsam transformierte, indem ich mich der Selbstliebe zuwandte und mich selbst bemutterte, begannen sich die Dinge in meinem Leben zu verändern. Ich fühlte mehr Verbundenheit, mehr Liebe, mehr Fülle und ein tieferes sexuelles und spirituelles Erleben. Natürlich bin auch ich immer noch auf dem Weg. Denn die Mutterwunde lässt sich nicht von heute auf morgen heilen. Vielmehr ist der Entschluss, die Beziehung zur eigenen Mutter zu transformieren, alles ans Licht zu holen, was wehtut und sich Rituale zu schaffen, um dem kleinen Mädchen in uns eine gute Mutter zu sein, ein revolutionärer Akt. Mich in schwierigen Momenten von einer tribu gehalten zu fühlen, ist unbezahlbar und gibt mir die Kraft, wieder und wieder aufzustehen. Viva la vida! Con todo, todo, todo.